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Ich betrachte Geneviève. Manchmal, ganz kurz, glaube ich in ihren Zügen wie eine Ertrinkende das geliebte, wilde und verstörte andere Gesicht auftauchen zu sehen; aber es verschwimmt gleich wieder im Plätschern des Gespräches über die moderne Anlage des Sanatoriums, beide Damen gebrauchen kein anderes Wort, die hübsche Aussicht, die alte Stadt, verschiedene Onkel und Tanten in Straßburg und in Holland, über die schwere Zeit, die Notwendigkeit, zu glauben, die Qualität der Lothringer Weine und das schöne Elsaß. Nicht ein Wort von dem, was mich einst so bestürzt und erregt hat. Es ist versunken, als wäre es nie dagewesen.

Ich verabschiede mich bald.»Leben Sie wohl, Fräulein Terhoven«, sage ich.»Wie ich höre, reisen Sie diese Woche.«

Sie nickt.»Kommen Sie heute abend nicht noch einmal?«fragt Wernicke mich.

»Ja, zur Abendandacht.«

»Da

»Gerne«, erwidert Isabelles Mutter.»Wir gehen ohnehin zur Abendandacht.«

Der Abend ist noch schlimmer als der Mittag. Das weiche Licht trügt. Ich habe in der Kapelle Isabelle gesehen. Der Schein der Kerzen wehte über ihr Haar. Sie bewegte sich kaum. Die Gesichter der Kranken kamen beim Klang der Orgel herum wie helle, flache Monde. Isabelle betete; sie war gesund.

Nachher wird es nicht besser. Es gelingt mir, Geneviève am Ausgang der Kapelle zu treffen und mit ihr ein Stück allein vorauszugehen. Wir kommen durch die Allee. Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Geneviève zieht ihren Mantel um sich.

»Wie kalt es abends schon ist.«

»Ja. Fahren Sie diese Woche ab?«

»Ich möchte schon. Ich war lange nicht zu Hause.«

»Freuen Sie sich?«-»Gewiß.«

Es ist nichts mehr zu sagen. Aber ich ka

»Wie, bitte?«fragt sie erstaunt.

»Ach«, sage ich.»Es war nur ein Name.«

Sie verhält einen Augenblick den Schritt.»Sie müssen sich irren«, erwidert sie da

»Ja, natürlich. Isabelle war nur der Name für jemand anderen. Wir haben manchmal darüber gesprochen.«

»So? Vielleicht. Man spricht über so vieles«, erklärt sie entschuldigend.»Da vergißt man dies und jenes.«

»O ja.«

»War es jemand, den Sie ka

»Ja, so ungefähr.«

Sie lacht leise.»Wie romantisch. Verzeihen Sie, daß ich mich nicht gleich eri

Ich starre sie an. Sie eri

»Was?«

»Das, was Sie von Isabelle erzählt haben.«

»Oh, das! Nichts weiter! Sie ist gestorben.«

Sie bleibt erschreckt stehen.»Gestorben? Wie leid mir das tut! Verzeihen Sie, ich wußte nicht…«

»Das macht nichts. Ich ka

»Plötzlich gestorben?«





»Ja«, erwidere ich.»Aber so, daß sie es gar nicht gemerkt hat. Das ist ja auch etwas wert.«

»Natürlich«, sie reicht mir die Hand.»Es tut mir aufrichtig leid.«

Ihre Hand ist fest und schmal und kühl. Sie fiebert nicht mehr. Es ist die Hand einer jungen Dame, die einen kleinen Fauxpas gemacht und wieder geordnet hat.»Ein schöner Name, Isabelle«, sagt sie.»Ich habe meinen eigenen Namen früher immer gehaßt.«

»Jetzt nicht mehr?«

»Nein«, erwidert Geneviève freundlich.

Sie bleibt es auch weiter. Es ist die fatale Höflichkeit, die man für Leute in einer kleineren Stadt hat, die man vorübergehend trifft und bald wieder vergessen wird. Ich spüre auf einmal, daß ich einen schlecht sitzenden, umgearbeiteten Militäranzug trage, den der Schneider Sulzblick aus einer alten Uniform angefertigt hat. Geneviève dagegen ist sehr gut angezogen. Sie war es immer; aber es ist mir nie so sehr aufgefallen. Geneviève und ihre Mutter haben beschlossen, zuerst einmal nach Berlin zu fahren für einige Wochen. Die Mutter ist ganz verbindliche Herzlichkeit.»Die Theater! Und die Konzerte! Man lebt immer so auf, we

Sie tätschelt Genevièves Hand.»Wir werden uns da einmal gründlich verwöhnen, wie?«

Geneviève nickt. Wernicke strahlt. Sie haben sie zur Strecke gebracht. Aber was ist es, das sie zur Strecke gebracht haben? denke ich. Ist es vielleicht in jedem von uns, verschüttet, verborgen, und was ist es wirklich? Ist es da

Ich stehe auf.»Was ist los mit Ihnen?«fragt Wernicke.»Sie sind ja unruhig wie -«Er hält ein und fährt da

»Ach der Dollar«, sagt Genevièves Mutter und seufzt.

»Ein Unglück! Zum Glück hat Onkel Gaston -«

Ich höre nicht mehr, was Onkel Gaston getan hat. Ich bin plötzlich draußen und weiß nur noch, daß ich zu Isabelle gesagt habe:»Danke, für alles«, und sie verwundert gefragt hat:»Aber wofür nur?«

Ich gehe langsam den Hügel hinunter. Gute Nacht, du süßes, wildes Herz, denke ich. Leb wohl, Isabelle! Du bist nicht ertrunken, ich weiß das plötzlich. Du bist nicht untergegangen und nicht gestorben! Du hast dich nur zurückgezogen, du bist fortgeflogen, und nicht einmal das: du bist plötzlich unsichtbar geworden wie die alten Götter, eine Wellenlänge hat sich geändert, du bist noch da, aber du bist nicht mehr zu fassen, du bist immer da, und du wirst nie untergehen, alles ist immer da, nichts geht jemals unter, Licht und Schatten nur ziehen darüber hin, es ist immer da, das Antlitz vor der Geburt und nach dem Tode, und manchmal scheint es durch in dem, was wir für Leben halten, und blendet uns eine Sekunde, und wir sind nie ganz dieselben danach!

Ich merke, daß ich rascher gehe. Ich atme tief, und da

Viel später merke ich, daß es regnet. Ich hebe mein Gesicht gegen die Tropfen und schmecke sie. Da

Wir gehen zusammen durchs Tor. Der Wärter schließt es hinter uns.»Nun?«fragt Bodendiek.»Wo kommen Sie her? Haben Sie Gott gesucht?«

»Nein. Ich habe ihn gefunden.«

Er blinzelt argwöhnisch unter seinem Schlapphut hervor.

»Wo? In der Natur?«

»Ich weiß nicht einmal, wo. Ist er an bestimmten Plätzen zu finden?«

»Am Altar«, brummt Bodendiek und deutet nach rechts.»Ich gehe diesen Weg. Und Sie?«

»Jeden«, erwidere ich.»Jeden, Herr Vikar.«

»So viel haben Sie doch gar nicht getrunken«, knurrt er etwas überrascht hinter mir her.

Ich komme nach Hause. Hinter der Tür springt jemand auf mich los.»Habe ich dich endlich, du Schweinehund?«