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„Na komm, ich gieß dir noch ein bißchen heißes Wasser nach“, sagte Tante Luisa. „Wie sehr mich unsre Kinder dauern, nie werden sie richtig satt.“
„Jetzt geht’s ja noch“, Egli war wieder ins Zimmer gekommen, gefolgt vom Baßgebrüll ihres Jüngsten. „Zur Zeit gibt’s Pilze, und Vitamine haben wir auch. Nur mit dem Fett steht’s schlecht …“
„So, nun gehn wir aber“, sagte Tante Luisa, „du siehst schon ganz blaß aus.“
„Du weißt ja, weshalb“, sagte Egli und zwang sich zu einem Lächeln. Doch es wurde mehr eine Grimasse, so als hätte sie Schmerzen.
Egli hatte vor einem Monat ein Mädchen zur Welt gebracht, eine Totgeburt. Der Alte sagte, sie sei nicht mehr jung genug zum Gebären, auch sei ihr Organismus geschwächt. Doch Egli war ein pflichtbewußter Mensch “
der Stamm sollte nicht aussterben. Oleg verstand das alles, de
„Danke für die Bewirtung“, sagte Tante Luisa.
„Möcht nur wissen, wie du es geschafft hast, so dick zu werden“, sagte Thomas, der die massive Gestalt Tante Luisas zur Tür schwimmen sah. „Das kommt bei mir nicht vom guten Leben“, erwiderte Luisa ohne sich umzudrehen. An der Tür blieb sie stehen und sagte, an Oleg gewandt: „Du hast über den Aufregungen vergessen, bei Kristina vorbeizuschaun. Das ist wirklich nicht schön, sie warten doch auf dich.“
Aber ja, natürlich, schon vor einer Stunde hatte er dort sein sollen! Er sprang auf: „Ich geh gleich hin!“
„Schon gut, ich schau selbst vorbei, hab’s bloß wegen der Disziplin gesagt.“ Tante Luisa winkte ab. „Ich füttere nur schnell das Waisenkind, da
„Das ist wirklich nicht nötig.“ Oleg lief hinter Tante Luisa aus dem Haus. Erst da fiel ihm ein, daß er vergessen hatte, Egli für das heiße Wasser und den Zucker zu danken, doch Umkehren war nicht mehr gut möglich.
Sie gingen nebeneinander, es war nicht weit. Lief man am Zaun entlang, ko
Die Häuser unter den schiefen pultförmigen Dächern standen dicht bei dicht, drängten sich zu beiden Seiten des geraden Pfades, der das Dorf in zwei Hälften zerschnitt: vom Tor im Zaun bis zum Gemeinschaftsschuppen und dem Vorratslager. Die Dächer, mit den langen, flachen, rosafarbenen Blättern der Wassertulpen gedeckt, glänzten unterm Regen, spiegelten den stets grauen, stets trüben Himmel. Vier Häuser auf der einen Seite, sechs auf der anderen. Drei der Häuser waren leer — nach der Epidemie im Vorjahr. Kristinas Haus war das vorletzte, dahinter kam nur noch das von Dick. Luisa wohnte gegenüber.
„Hast du keine Angst, dorthin zu gehn?“ fragte Tante Luisa.
„Es muß sein“, antwortete Oleg.
„Eine Antwort, die eines Ma
„Und Sergejew, läßt er Marjana nicht mitgehn?“ fragte Oleg.
„Keine Bange, sie kommt schon mit, deine Marjana.“
„Uns wird nichts passieren“, sagte Oleg. „Wir sind zu viert, bewaffnet und schließlich nicht das erste Mal im Wald.“
„Im Wald, das ist wahr“, stimmte Tante Luisa zu. „Die Berge aber sind etwas ganz anderes.“
Sie waren zwischen Kristinas und Luisas Haus stehengeblieben. Die Tür zu Luisas Haus war angelehnt, man ko
„In den Bergen ist’s zum Fürchten“, sagte Luisa. „Ich werd mein Lebtag nicht vergessen, wie wir dort umherirrten. Die Leute sind buchstäblich vor unseren Augen erfroren. We
„Jetzt ist Sommer“, sagte Oleg, „es gibt keinen Schnee.“
„Das sind doch alles nur Märchen, nichts als Wunschträume. In den Bergen liegt immer Schnee.“ „We
„Tut das. Macht lieber kehrt.“
Luisa bog zu ihrer Tür ab, und der kleine Kasik bega
Hier war es stickig, ein säuerlicher Geruch hing in der Luft. Der Schimmel hatte die Wände bereits wie mit Tapeten zugedeckt, und obwohl er von kräftigem Gelb und Orange war, wurde es davon nicht heller im Raum. Die Lampe bra
„Grüß euch“, sagte Oleg und hielt die Tür einen Spaltbreit offen, um zu erke
„Oh“, sagte Kristina, „du bist ja doch noch gekommen, ich dachte schon, du hättest es vergessen. Da ihr beschlossen habt, in die Berge aufzubrechen — wozu noch an mich denken?“
„Hör nicht auf sie, Oleg“, ließ sich leise, sehr leise, fast flüsternd Lis vernehmen, „sie murrt die ganze Zeit. Auch mich brummt sie an. Das geht von morgens bis abends.
Wie satt ich das habe.“
Oleg tastete sich zum Tisch, suchte ihn mit den Händen ab. Er fand die Lampe, holte Feuerstein und Zunder aus einem Beutel an seinem Gürtel.
„Weshalb sitzt ihr im Dunkeln?“ fragte er.
„Wir haben kein Öl mehr“, antwortete Lis. „Wo ist die Büchse?“
„Hörst du nicht, wir haben kein Öl“, sagte Kristina.
„Wem sind wir zwei hilflosen Frauen schon von Nutzen?
Wer soll uns Öl bringen?“
„Das Öl ist auf dem Wandbord, rechts von dir“, sagte Lis. „Wa
„Nach dem Mittagessen“, sagte Oleg. „Wie fühlst du dich, hast du noch Schmerzen in der Brust?“
„Mir geht’s gut. We
„Egli sagte, daß du in drei Tagen wieder aufstehn ka
„Ich laß Mutter nicht allein“, erwiderte Lis.
Kristina war nicht ihre Mutter, aber sie lebten schon lange zusammen. Als sie in die Siedlung kamen, war Lis noch nicht mal ein Jahr alt gewesen, sie war die Jüngste.
Ihre Mutter war auf dem Paß erfroren, vielleicht auch in eine Schneelawine geraten. Oleg eri
Später erblindete Kristina, der Grund war die bewußte Kollerdistel: Man hatte noch nicht gelernt, mit ihr fertigzuwerden. So war die Frau blind geworden. Sie verließ selten das Haus. Nur im Sommer und nur, we
„Natürlich“, sagte Kristina in diesem Augenblick, „bringt sie irgendwohin. Weshalb soll sie mit mir krepieren?“
Oleg ertastete auf dem Bord die Büchse mit dem Öl, goß etwas davon in die Lampe und zündete sie an. Es wurde sogleich hell, und man sah das breite Bett, in dem unter Fellen Kristina und Lis nebeneinander lagen. Oleg wunderte sich immer wieder, wie ähnlich sich die beiden sahen. Man hätte nie für möglich gehalten, daß sie nicht verwandt waren. Beide weißhäutig und blond, mit breiten flachen Gesichtern und weichen Lippen. Nur daß Lis grüne Augen hatte, während die von Kristina geschlossen waren.
Aber auch sie hatte, wie behauptet wurde, früher grüne Augen gehabt. „Das Öl reicht noch für eine ganze Woche“, sagte Oleg, „da
„Schade, daß ich krank geworden bin“, sagte Lis, „ich wär gern mit dir gekommen.“