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Man versteht das Wissen in Rußland gern als ein Ganzes und legt deswegen einen besonderen Wert auf das Fachübergreifende […] Man verstand und versteht noch das Ganze des Wissens […] als ein „organisches“ Ganzes (ein in der russischen Philosophie an der Wende zum 20. Jahrhundert besonders arg strapazierter Begriff), der in sich selbst besteht […] [Michajlov 1995: 188].

Das trifft ganz und gar auf den Gründungsvater der russischen Komparatistik, die methodisch in viele Einzelphilologien ausstrahlte, zu, nämlich auf Aleksandr Veselovskij. Seine Historische Poetik versteht sich dezidiert als Evolutionsgeschichte, als Wissenschaft von den „einfachste[n] poetische[n] Formen“, die als ‚Motive‘, komplexer da

Veselovskij entwickelte seine Historische Poetik, nachdem er einige Jahrzehnte Entscheidendes zur europäischen Märchen- und Mythenforschung beigetragen hatte. Um Parallelphänomene in der Märchenliteratur zu erklären, bediente man sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts dreier unterschiedlicher Narrative, die für drei methodologische Ansätze stehen: Entweder wurden Parallelen unter dem Begriff ‚Archaik‘ anthropologisch aus Urformen der Mythologie hergeleitet oder aber geographisch-historisch aus dem Prinzip der ‚Migration‘ erklärt oder schließlich unter der Kategorie ‚Polygenese‘ aus vergleich-baren Entstehungsumständen ohne direkten interkulturellen Kontakt abgeleitet. Egal, welches Narrativ bedient wurde, allen Ansätzen eignet ein universalhistorisch-holistischer Ansatz des Ganzen der Kultur, der eine Ordnungsstruktur eingeschrieben ist, die sich in Evolutionsgesetzen fassen lässt.

Michajlov referiert diesen holistischen Grundzug der russischen Literaturwissenschaft mit einem stillen ironischen Genuss. In allen aktuellen westlichen Diskursen war er derart bewandert, dass er genau wusste, wie sein Zielpublikum auf diesen offen substantialistischen Begriff reagieren musste, dass dessen stets aktive poststrukturalistische Virensca

Noch bei Michajlov gilt also, dass von ‚Evolution‘ nur derjenige reden ka

In seinem Aufsatz „Theorie der formalen Methode“ von 1925 definiert Ėjchenbaum die sogena

Die literaturgeschichtliche Reihe repräsentiert nach Ėjchenbaum und Šklovskij die „literarische[] Evolution“, die aus der „Dynamik der Gattungen“ hervorgeht, die sich in einem Prozess von Kanonisierung und Entkanonisierung unausgesetzt dialektisch neu erzeugen [vgl. Ėjchenbaum 1965, 47]. Was sich zunächst so phänomenologisch ausnimmt, ist aber im Kern holistisch gemeint: „Uns kommt es darauf an, in der Evolution Anzeichen für eine geschichtliche Gesetzmäßigkeit aufzuspüren“; es geht um „das Problem der Evolution außerhalb der Person, [um] die Bestimmung der Literatur als eines eigentümlichen Sozialphänomens“ [Ėjchenbaum 1965: 48]. Und so greift die neue Literaturwissenschaft doch wieder in das große Ganze der Menschheitsgeschichte aus.



I

Es galt, das Verhältnis zur poetischen Sprache umzuwälzen, die zu einem toten Dialekt ohne lebendige Entwicklung und lebendige Phantasie degeneriert war. Man mußte entweder eine neue wilde Redeweise erfinden oder aber die überlieferte poetische Sprache von den Fesseln des Symbolismus befreien. Die Frage lautete: Revolution oder Evolution [Ėjchenbaum 1965: 155].

Für die Revolution stehen beka

„Revolution oder Evolution“? – Ėjchenbaum nutzt beide Begriffe zur Beschreibung der literaturgeschichtlichen Reihe und unterstellt so beide derselben „geschichtliche[n] Gesetzmäßigkeit“. Gesetzmäßig verlaufende Prozesse ke

Dieser Befund gilt überall, wo der Begriff ‚Revolution‘ unter der Herrschaft eines übergeordneten holistischen Konzepts von Gesetzmä-ßigkeit und Evolution steht. Und das gilt selbst für den Marxismus. In seiner Schrift Das Elend der Philosophie formuliert Marx:

Nur bei einer Ordnung der Dinge, wo es keine Klassen und keinen Klassengegensatz gibt, werden die gesellschaftlichen Evolutionen aufhören, politische Revolutionen zu sein [MEW IV, 182].

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[Ėjchenbaum 1965: 14]: „Statt einer Wissenschaft von der Literatur entstand ein Konglomerat hausgemachter Disziplinen.“